Käse-Expertin Susanne Hofmann:

Rohmilch darf in Deutschland nur vom Hof des Erzeugers verkauft werden und wird deshalb auch als „Rohmilch ab Hof“ bezeichnet.

Rohmilch ist unbehandelt und unverpackt, enthält alle Vitamine, schmeckt besonders aromatisch und hat einen Fettgehalt von 3,5 bis 5 Prozent. In der Hofkäserei muss Rohmilch immer zügig und besonders hygienisch verarbeitet werden. Vorzugsmilch ist die einzige Rohmilch, die aufgrund umfangreicher monatlicher Untersuchungen auch außerhalb der Hofstelle verkauft werden darf.

Jede Milch, egal von welchem Tier, enthält eine bakterizide Substanz, die sie in den ersten Stunden nach der Gewinnung schützt. Diese Tatsache ermöglicht überhaupt erst die Herstellung von Rohmilch-Käse, denn so kann die Milch auch ohne Tiefkühlung zweimal täglich zur Käserei gebracht werden und die völlig unbehandelte Milchflora kann dem Käse seinen besonderen, individuellen Geschmack verleihen. Wird die Milch dagegen von den Bauernhöfen in oft weit entlegene Molkereien zur industriellen Verarbeitung gebracht, muss sie vorher tiefgekühlt werden, damit man sie überhaupt transportieren und lagern kann. Diese Kühlung verhindert zwar das Sauerwerden der Milch, macht sie aber auch anfällig für krankheitserregende sowie fett- und eiweißspaltende Bakterien. Um die gekühlte Milch also wieder keimfrei zu bekommen, muss sie vor der Weiterverarbeitung unterschiedlich behandelt werden, zum Beispiel durch Pasteurisierung.

Heute fordert der Markt außerdem zunehmend sehr lange biologische Haltbarkeiten der Milch. Deshalb – und um ein mikrobiologisches, leicht verderbliches Produkt wie Milch in immer größeren Mengen verarbeiten zu können – entwickelt die Industrie immer aufwendigere Entkeimungs-Verfahren. Denn die vielfältigen, bislang eingesetzten Erhitzungsverfahren haben nicht nur technisch und energetisch einen hohen Aufwand: Sie haben auch einen nachweisbar negativen Einfluss auf die wertvollen Inhaltsstoffe der Milch – ein Grund auch für die industrielle Molkereien, nach Alternativen zu suchen. So werden derzeit verschiedene Methoden untersucht und getestet: von der sogenannten  Kaltpasteurisierung über die  Mikrofiltration und Bakteriofugen bis zur gepulsten Hochenergiefeldtechnik, zur Ultraschallbehandlung, zur Behandlung mit gepulstem, hochfrequentem Licht und zur UV- und radioaktiven Bestrahlung. Aber auch diese Verfahren haben natürlich Auswirkungen auf die ursprüngliche Zusammensetzung der Milch. So können sich zum Beispiel geruchs- und geschmacksintensive Spalt- und Reaktionsprodukte bilden, die sowohl den Mineraliengehalt vermindern, aber auch dazu führen, dass bei der Käseverarbeitung wesentlich größere Mengen an Lab zugesetzt werden müssen.

Bis Mitte des 19. Jahrhundert wurde die Milch nur auf Bauernhöfen zum Eigenverbrauch verwendet.

In den Städten war der Konsum von frischer Milch und Milchprodukten nur sehr beschränkt möglich. Der zunehmende Preisverfall bei Getreide und die Entwicklung der Kühl- und Transportmittel beschleunigten ab 1870 die Kommerzialisierung von Milch und Milchprodukten. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es die ersten Herstellerverbände für Molkereien und Käsereien. Die Industrialisierung und das steigende wirtschaftliche Interesse der großen Produzenten entwickelten sich so rasant, dass neue Probleme wie die Lebensmittelverfälschung und die Seuchengefahr entstanden. So wurden im damaligen Deutschen Reich zum ersten Mal staatliche Gesundheitsämter eingerichtet und es wurden verbindliche veterinärmedizinischen Auflagen festgeschrieben. Und man beschloss ganz pragmatisch, vorübergehend die Milch zu pasteurisieren, bis alle bäuerlichen Milchbetriebe hygienisch auf einem gesundheitlich unbedenklichen Standard waren. Vor allem die Ställe, in den die Tiere gehalten wurden, hatten oft große Bau- und Hygienemängel – dort konnte kein gesundheitlich einwandfreier Tierbestand garantiert werden. Nach Beseitigung alle Mängel, so der Plan, sollte dann wieder zur Rohmilch übergegangen werden. Doch die Großmolkereien, die sich bis dahin bereits entwickelt hatten, waren an einer Rückkehr zur Rohmilchproduktion nicht interessiert. Sie beschäftigten Bakteriologen und Milchwissenschaftler, die unaufhörlich das Bild von der schlechten, schmutzigen, minderwertigen Bauernmilch und der guten, sterilen und gesunden Molkereimilch verbreiteten. Die Einflussnahme der Interessenvertreter der Großmolkereien auf das Reichsmilchgesetz von 1930 war somit unübersehbar…

Bis Ende der 1950er Jahre durften Bauern in Deutschland noch über ein Drittel der von ihnen erzeugten Milch selbst verfügen und sie als Trinkmilch, Quark oder Butter ab Hof verkaufen. Ende der 1960er Jahre kam es (wohl nicht zuletzt durch den Einfluss der Großmolkereien) zu einer erheblichen Verschärfung der baulichen Vorschriften für Hofkäsereien und kleine Milchbetriebe. Viele konnten aus wirtschaftlichen Gründen die Auflagen nicht erfüllen und mussten schließen – zumal ihnen als zusätzlicher Anreiz Stilllegungsgelder angeboten wurden.

Von etwa 3000 Milch verarbeitenden Betrieben in den 1960er Jahren sank die Zahl bis in die 1980er Jahre auf gerade mal noch etwa 600 kleine Herstellungsstätten.

Die Trennung von Milchproduktionsstätte und Milchverarbeitungsbetrieb wurde stark gefördert und stellte die Milchwirtschaft vor neue Herausforderungen. Denn es musste ein Weg gefunden werden, um die Milchkeimzahlen zu reduzieren und die Haltbarkeit zu verbessern. So wurde Anfang der 1960er Jahre die erste H-Milch produziert und 1968 zugelassen. Während der 1970er Jahre entstanden auch die ersten Discounter und die H-Milch – transportierbar, stapelbar, wochenlang ohne Kühlung haltbar und somit planbar – trat ihren Siegeszug an. Mit Gründung der Europäischen Union 1992 kam es zu einer Modifizierung in der Milchwirtschaftspolitik. Neben der weiteren Förderung der Industrialisierung im Milchwirtschaftlichen Bereich wurde auch die Herstellung von Weichkäse aus Rohmilch wieder erlaubt und eingeführt und die handwerkliche Milchverarbeitung EU-rechtlich geregelt. Zu dieser Zeit wurde auch der Verband für handwerkliche Milchverarbeitung e.V. (VHM) von rund 60 Hofkäserinnen und Hofkäsern gegründet. Durch die neue Rechtslage entstanden neue handwerklich arbeitende Milchbetriebe – inzwischen sind es in Deutschland wieder mehr als 1000!

Im Überblick:

  • Rohmilch – auch als ‚Rohmilch ab Hof’ bezeichnet, darf in Deutschland nur vom Hof des Erzeugers verkauft werden; ist unbehandelt und unverpackt, enthält alle Vitamine, schmeckt angenehm aromatisch, hat einen Fettgehalt von 3,5-5%, muss zügig und besonders hygienisch verarbeitet werden (maximal 2 Melkzeiten), kann aber, weil unbehandelt, unerwünschte Bakterien enthalten.
  • Vorzugsmilch – ebenfalls Rohmilch, die aber verpackt im Handel angeboten wird; darf nur in speziell zertifizierten Betrieben produziert werden, schmeckt wie Rohmilch, unterliegt strengen Kontrollen, sollte spätestens 96 Stunden nach dem Melken getrunken werden.
  • Pasteurisierte Milch – ist schonend wärmebehandelt, hat meist einen Fettgehalt von 3,5%, wird verpackt im Handel angeboten, geringe Verkeimung, aber auch verringerter Vitamin- und Nährstoffgehalt, im Geschmack weniger intensiv als Rohmilch, Eiweißzerstörung durch die Wärmebehandlung kann bei der Käseherstellung zu Labträgheit führen und erfordert deshalb den Zusatz von Kaliziumchlorid (auch ‚Käsereisalz’ genannt).
  • ESL-Milch – länger haltbare Milch (Extended Shelf Life) – Wärmebehandlung mit höheren Temperaturen als pasteurisierte Milch, noch geringere Verkeimung, noch weniger intensiv im Geschmack, Eiweißzerstörung und deshalb Labträgheit und Zugabe von Kalziumchlorid für die Verkäsung wie bei pasteurisierter Milch
  • H-Milch – ultrahocherhitzt und homogenisiert, Geschmack erinnert an gekochte Milch, Eiweiß- und Vitamingehalt stark beeinträchtigt, muss für die Käseherstellung angeimpft werden und Kalziumchlorid muss zugegeben werden; Käse aus H-Milch kann leicht ranzig werden.